Die folgenden Zeilen wurden gelesen und notiert
von Peter Augsten im Bahnhof Au/Sieg


Der Unschlüssige

Ein Mensch, zum Bahnhof dauerlaufend,
mit Seitenstechen, mühsam schnaufend,
sieht auf die Uhr, es wird zu knapp -
und augenblicklich macht er schlapp:
Enthoben seinem höheren Zwecke,
schleicht er jetzt lahm wie eine Schnecke;
nimmt immerhin sich eine Karte,
daß er den nächsten Zug erwarte.
Und sieht - und meint nicht recht zu sehn -
den Zug noch an dem Bahnsteig stehn.
Mit seinen letzten Lebensgeistern
hofft er nun, es noch zu meistern,
setzt an zum Endspurt im Galoppe;
voll Angst, daß doch das Glück ihn foppe,
läßt jäh er sinken Mut und Kraft.
Bis er sie wieder aufgerafft,
vergehn Sekunden, tödlich tropfend.
Der Mensch, mit wildem Pulsen klopfend,
fragt sich im Laufen, ob er träumt,
der Zug, den er, an sich versäumt,
steht noch - gesetzt den Fall, er sei's! -
ganz ungerührt auf seinem Gleis.
Doch eh der Mensch sich noch im klaren,
beginnt der Zug jetzt, abzufahren.
Der Mensch kann noch die Tafel lesen:
Jawohl, es wär sein Zug gewesen.

Eugen Roth